Leseprobe: BRIDGE was denn sonst?

„Bist Du es?“, fragt Susi Sorglos ihre Freundin Tina Treff, als diese mit wehenden Haaren in allerletzter Minute erscheint und sich auf Nord schwingt. Auf solche blöden Fragen antwortet Tina nicht, sondern nimmt ihre Karten auf. „Neue Brille?“, bohrt Susi weiter. „Das ist keine Brille, sondern ein Wunderwerk der Technik.“ Susi nickt. „Das sieht man“, sagt sie und bewundert das zarte Geflecht aus metallisch bunten Streben, die kunstvoll geschwungen winzige randlose Gläser halten. „Das sieht man eben nicht“, korrigiert Tina. „Das ist ja das Tolle. Während früher die Lesebrille wie so kleinen Fingernägeln sichtbar in die Brille eingeschliffen war, geht das heute ganz nahtlos. Im Grunde habe ich drei Brillen auf.“ „Das sieht man nicht“, staunt Susi. „Wenn ich unten durchsehe, sehe ich meine Karten, wenn ich durch die Mitte kucke, sehe ich Deine Karten und oben durch sehe ich die Karten ganz hinten in der Pikgruppe. So etwas nennt man Gleitsichtgläser.“ Susi ist stark beeindruckt, findet aber, dass man schon ziemlich genau zielen muss, um bei diesen winzigen Gläsern ein ‚Unten, Mitte, Oben’ auszumachen. Dann legt sie ein Sans. Tina hüpft, nachdem Susi ihren Stayman mit Pik beantwortet hat in 4 Pik und legt nach Treffangriff lässig den Dummy auf den Tisch. Dann rückt sie das Wunderwerk der Technik zurecht und wirft einen Blick in den Saal. Ab jetzt wird sie ganz neue Eindrücke sammeln können und auch am Geschehen der ferneren Umgebung teilhaben.

„Stayman machen wir doch eigentlich nur, wenn wir mindestens eine Oberfarbe zu viert haben“, holt Susi Tina wieder in den Nahbereich ihrer Neuerwerbung zurück. Ein Blick durch ‚Unten’ zeigt Tina, dass sie irrtümlich zwei Treffs zu den Piks gesteckt hat. „Früher ohne Brille hast Du besser gesehen. Vielleicht hast Du das Wunderwerk der Technik falsch herum auf?“ Tina hat sich verkuckt, das kann ja mal vorkommen. Beleidigt rückt sie ihre Brille zurecht, lehnt sich dann aber entspannt zurück und genießt es, den Blick sehenden Auges in die Ferne schweifen lassen zu können.

Bridge Diagramm

Susi zupft nervös an ihrem Kassengestell und besieht sich das ganze Ausmaß des Dramas. Vollspiel im 4-2-Fit, davon hat sie schon immer mal geträumt, aber eigentlich nur, um dann schreiend aus diesem Alptraum zu erwachen. Sie wartet noch einen Augenblick, ob sie vielleicht auch diesmal wieder erwacht. Als das nicht der Fall ist, sagt sie „Danke, klein“, und versucht, ihren Spielplan zu machen. Die Gegner haben einen Trumpf mehr als sie. Das ist schlecht. Doch die Trümpfe scheinen 3-4 verteilt zu sein scheinen, sonst hätte sicher einer der beiden Gegner das rote Kärtchen auf den Tisch geknallt. Das ist gut. Angriff von Treff 5 landet mitten in ihrer Gabel. Das ist auch gut. Vielleicht hat sie ja eine Chance. Sie nimmt den Treff mit der Dame und zieht Trumpf. Einen Trumpfstich muss sie selbst bei freundlichstem Trumpfstand abgeben, da kann sie das auch gleich machen, dann hat sie es hinter sich. Und während sie noch grübelt, wie sie denn nun weiter spielen soll, lächeln sie drei Stiche in Trumpf, fünf in Karo und ein weiterer in Treff an. Sie rückt wieder an ihrem Kassengestell, sagt: „Sie kriegen noch zwei Coeurstiche und der Rest ist meins“ und legt mit coolem Blick die Karten auf den Tisch. Tina kommt von ihrem Ausflug in die Ferne zurück, blinzelt durch die ‚Mitte’ und nickt anerkennend. Dann notiert sie mit Hilfe eines Blickes durch ‚Unten’ den Top.

 

 

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