Leseprobe: Das Leben ist zu kurz für eine Gurkenmaske

„Jetzt machen wir erstmal einen Schwangerschaftstest“, sagt Tina. Zu Susis größtem Erstaunen springt Tina auf, um einen Babytest aus ihrer Hausapotheke zu holen. So etwas hat Tina offensichtlich so selbstverständlich vorrätig wie andere Leute frische Zahnbürsten. Gerade will Susi in grenzenloser Bewunderung für die Freundin erstarren, da kommt Tina mit einem leicht verstaubten Kartönchen wieder. „Der ist vor sieben Jahren abgelaufen, aber vielleicht geht er noch.“ Tina kann sich eben von nichts trennen.

 

Der Test war in grauer Vorzeit plötzlich von Nöten. Tina erinnert sich noch ausgesprochen ungern an den Kauf. Mit bangem Herzen war sie zwei Tage und Nächte um die Häuser gelaufen, hatte zu Gott gebetet und mit ihrem Schicksal gehadert, bis sie die Ungewissheit nicht mehr aushielt. „Ich möchte einen Babytest“, hatte sie in der Apotheke geflüstert. „Wie bitte?“ „Einen Schwangerschaftstest bitte“, hatte sie so laut gesagt, dass zwar die Apothekerin es hörte, die anderen im Raum aber möglichst nicht. Eine unverheiratete Frau war damals nicht gerne schwanger. „Haben Sie ein Rezept für den Schwangerschaftstest?“, brüllt die Apothekerin so laut sie kann in den Saal. „Nein.“ Endlich sind alle anwesenden Augenpaare dort, wo sie hingehören, nämlich missbilligend auf dem lockeren Vogel, der da leicht zerrupft mit roten Ohren zwischen ihnen steht. Diese ganze Situation hatte damals ihr Innerstes derart in Wallung gebracht, dass ihre Tage einsetzten, ohne den Schwangerschaftstest befragen zu müssen.

 

Tina öffnet die Pappschachtel. Zum Vorschein kommt so eine Art Minilabor. Sie stellt die einzelnen Zutaten auf den Wohnzimmertisch und schnappt sich den Beipackzettel. Der ist noch vom alten Schlag - also voller Buchstaben - und nicht wie heutzutage eine Bildergeschichte, damit auch legasthenische Mitbürgerinnen ihren Nachwuchs fehlerfrei diagnostizieren können. „Erstens: Halten Sie A in den kräftigen Mittelstrahl“, liest Tina vor und stupst mit dem Zeigefinger einen kleinen Plastikbecher an. „Falls dir A für deinen kräftigen Mittelstrahl zu klein ist, kann ich dir natürlich auch ein altes Marmeladenglas leihen. – Zweitens: Saugen Sie zirka zwei Kubikzentimeter Urin in B hoch und verschließen Sie die obere Öffnung mit dem Zeigefinger C der rechten Hand. - Na lecker.“ Tina steckt sich zur Veranschaulichung das Glasröhrchen B in den Mund und saugt. „Denk immer dran: nur zirka zwei Kubikzentimeter. Nicht trinken.“ Die wohltuende Wirkung des Eigenurins ist noch unbekannt.

 

„Drittens: Tröpfeln Sie ungefähr 9 Tropfen Urin auf die Lösung im Reagenzglas D und stellen Sie das Reagenzglas an einen ruhigen Ort.“ Susi hat wieder ihre weiße Farbe angenommen und grübelt, wie viel wohl ungefähr 9 Tropfen sind und warum der Urin im Reagenzglas seine Ruhe haben will. „Viertens: Wird nach zwei Stunden im Spiegel unter dem Reagenzglas ein brauner Ring sichtbar, ist der Test positiv.“ Aha. Der ruhige Ort soll also nicht still, sondern erschütterungsfrei sein, damit der braune Ring eine Chance hat, sich zu bilden. „Was heißt denn positiv?“ „Na ja. Positiv ist negativ, also schwanger.“ „Warum sagen die dann, der Test wäre positiv, wenn das Ergebnis negativ ist“ „Vielleicht sind die Mitarbeiter von Schering Sadisten. Immer mit Medikamenten für kranke Leute herum zu hantieren, macht trübsinnig Da ist Sadismus sicherlich eine Berufskrankheit.“ „Quatsch. Es soll Leute geben, die sich auf Kinder freuen und wenn ich deine roten Bäckchen so ansehe, dann freust du dich auch.“ Tatsächlich. Susi hat das Kreideweiß gegen ein zartes Rouge getauscht.

 

„Ich will doch lieber was Modernes, wo ich einfach nur so drauf pinkeln muss. Warum soll ich denn deine Antiquitäten aufbrauchen?“, sagt Susi weinerlich. Aber Tina drückt Susi erbarmungslos A in die Hand und schickt sie mit den Worten „Immer schön in den kräftigen Mittelstrahl halten“ aufs Klo. Zur Strafe muss dann Tina zwei Kubikmeter Urin in B hoch saugen, weil Susi schon wieder gefährlich grün ist, als sie mit gefülltem A wieder im Wohnzimmer erscheint. In diesem Zustand ist sie nicht dazu in der Lage, ihre Nase gefahrlos in den Pinkelbecher zu tauchen.

 

Zwei Stunden lang versuchen die beiden Freundinnen an irgendetwas anderes zu denken und zwingen sich, nicht bei dem Reagenzglas vorbei zu schauen, das sie zum Zwecke der Ruhe etwas abseits auf das standfeste und erschütterungsfreie Sideboard gestellt haben. „So“, sagt Tina schließlich. „Jetzt sind nicht zirka zwei Stunden und auch nicht ungefähr 120 Minuten um. Nein. Jetzt haben wir deinem kräftigen Mittelstrahl genau zwei Stunden Zeit gelassen, sich frei zu entfalten. Also los.“ 

 

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