Leseprobe: Frausein ist nichts für Feiglinginnen

Tina ist jeglicher mutwilliger Körperveränderung abhold. Sie meint, der Körper verändere sich schon von ganz alleine genug – und nicht immer zum Vorteil. Ihre einzige Verschönerung erledigt sie dann und wann mit einem Gang zum Frisör. Alle Frisöre fühlen anscheinend die Verpflichtung, ihre Kundschaft während dieses Prozesses der Verschönerung, dem meist ein Prozess extremer Verhäßlichung vorauseilt, irgendwie bei Laune und bei der Stange zu halten und reden daher ohne Unterlass das uninteressanteste Zeug.

Die Frisörin dreht Tinas Haare fest auf bunte Schaumstoffwürste und versucht so, ihr die Kopfhaut vom Schädel zu ziehen. Diese schmerzhafte Prozedur versüßt sie Tina, indem sie in allen Einzelheiten die Geheimnisse der Herstellung einer sehr exklusiven Honig-Senf-Sauce für dänischen Krustenbraten lüftet. Da Tina auch in Extremsituationen versucht, ein höflicher Mensch zu bleiben, lauscht sie aufmerksam den Worten ihrer Peinigerin und sieht sie an. Dabei bemerkt sie eine geradezu widerliche, dicke, fette Warze am Kinn der Erzählerin. Genau da, wo Kirk Douglas sein Grübchen hat, bei dem man sich immer fragt, wie er sich da drin wohl rasiert, dort hat die arme Frau ihre Warze. Kirk Douglas wäre vielleicht dankbar, wenn er mit Hilfe einer Warze sein Grübchen ausfüllen könnte, aber diese Frau muss ja wegen dieser Warze kreuzunglücklich sein. Tina ist hin und her gerissen von dem Spagat, die Frau bei ihren Erzählungen höflich anzuschauen, dabei aber den Blick auf die Warze zu vermeiden. Schließlich gibt sie auf und schaut einfach direkt drauf. Sieh da, die Warze ist künstlich, irgendwie ein metallischer Knopf. „Wie ist das da denn befestigt, das sticht doch immer in den Unterkiefer“, unterbricht Tina die Honig-Senf-Kreation und lässt sich informieren, dass dieses Teil nicht wie Ohrstecker befestigt wird, sondern eine Art Docht auf einem Metallplättchen ist, auf den die Perle aufgeschraubt wird. „Wie eine Heftzwecke mit Gewinde.“ Die Warze ist also eine Perle, denkt Tina noch mit letzter Kraft, während sich ihr langsam der Magen umdreht und damit Gott sei Dank von dem Schmerz auf der Kopfhaut ablenkt.

 

 

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