Leseprobe: ... und raus bist du

„Darf ich Sie zu einem Wein einladen?“ Es ist Herr Hall, der Kathrin anspricht. Herr Hall war früher mal ihr Chef, bevor sie in den Testbereich der Entwicklungsabteilung gewechselt ist. Immer noch ist sie ihm freundschaftlich verbunden – sie ihm und er ihr. 

„Nehmen Sie lieber den Weißen, der Rote ist grauenvoll, für Weinkenner ungenießbar.“ Sie nimmt den Roten, denn sie ist kein Weinkenner, glaubt aber, dass die Kühlung ebenso gut ist wie der Wein und da will sie lieber warmen Roten als warmen Weißen trinken.

„Haben Sie die Rede von unserem großen Vorsitzenden gehört“, fragt Hall. Kathrin nickt. „Eine Viertelstunde rumgesülzt und nichts gesagt“, grinst sie. „Das sehe ich ganz anders“, sagt Hall und breitet augenblicklich eine gekonnte Analyse von McDowells Rede vor Kathrin aus. Schon die Anrede spräche doch Bände. Ladies and Gentlemen hat er gesagt. Richtig wäre ja wohl irgendetwas in Richtung Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewesen, aber davon kein Wort. Und da solle sie sich mal nichts vormachen, mit den anschließenden dear friends wären nicht etwa sie und der Betriebsrat, sondern er und die Geschäftsleitung gemeint, die der Dowell als Freunde betrachtet und nicht im Stich lassen wird, wenn der Hammer kreist. Zu guter Letzt sei dann da noch die Sache mit dem schönen Tag gewesen, den er wünscht. Kein erfolgreiches Jahr oder eine erfolgreiche Zukunft oder steigenden Profit oder Ähnliches! Kein Wort davon, dass man zuversichtlich ins nächste Geschäftsjahr blicken solle oder nach vergangenen Erfolgen nun zu weiteren Höhenflügen ansetze oder sonst irgendein Schmus. Nur einen schönen Tag wünscht der Herr und dazu noch auf Deutsch, damit wirklich alle Bescheid wissen. „Da ist irgendwas im Busch, meine Liebe, denken Sie an meine Worte. So eine platte Rede passiert dem Dowell nicht, weil er schlecht gefrühstückt hat. Der ist extra aus USA hier angetanzt, um uns reinen Wein einzuschenken und uns zu sagen, dass die Amis uns hier in Deutschland einstampfen wollen. – Prost.“ Er trinkt einen Schluck und schüttelt sich. „Bah, so rein hätte der Wein wirklich nicht sein müssen, den sie uns einschenken.“

 

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